Tuesday, November 1, 2011

Change

Offenbar sind sich viele Japaner einig, dass sich in Japan etwas ändern müsse. Bis vor etwa zwanzig Jahren lief alles so gut. Die Japaner eroberten die Weltmärkte und hatten das Gefühl, alles sei möglich, wenn man nur hart arbeite. Dieses Gefühl hat sich nach zwanzig Jahren schleppender Wirtschaft geändert. Andere Asiatische Länder, vorab China, haben Japan den Schneid abgekauft. Hinzu kommen die Enwurzelungsprobleme einer mobilen und hochtechnologisierten Gesellschaft. Und nun die Katastrophe vom 11. März.

Blick vom Sunshine-Tower Richtung Südosten

Gestern traf ich Yuri Kinugawa, die Gründerin und Inhaberin von Impro Works. Sie ist ausgebildete Schauspielerin, eine Pionierin in Sachen Impro in Japan und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Sie lebt in Tokyo und Auckland und ist international vernetzt. Sie erklärte mir, dass Improtheater in Japan noch in den Kinderschuhen stecke. Dies habe vor allem damit zu tun, dass Japaner dazu tendieren, die Regeln stärker als alles andere zu gewichten. So werde aus dem "Ja, und..." ein Dogma und der Sinn der Improvisation gehe verloren, die Entwicklung der eigenen Kreativität und Freiheit bleibe auf der Strecke.

Japan müsse sich verändern. Yuri sei in Ihren Workshops hauptsächlich damit beschäftigt, Japanerinnen aufzuzeigen, dass sie sich ihre Grenzen selber setzen, und ihnen Mut zu machen. Es gehe ganz wesentlich um die Stärkung des Selbstvertrauens. Sie nannte das Beispiel Augenkontakt. In der japanischen Gesellschaft sei der direkte Augenkontakt nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Dabei handle es sich doch um ein Verhaltensmuster aus der Edo-Zeit. Damals war es verboten, einem Samurai ins Gesicht zu schauen. Tat man es dennoch, war man sich seines Lebens nicht mehr sicher. "Wir leben doch nicht mehr in der Edo-Zeit! Wir müssen uns doch ansehen, um uns zu verstehen." [In der Zwischenzeit machte mich Monako darauf aufmerksam, dass es sich bei der Augenkontakt-Geschichte um einen Mythos handle. Tatsächlich sei das Vermeiden des Augenkontakts erst in der Meiji-Zeit, also vor etwa 100 Jahren, als ein Verhalten propagiert worden, dass sich für Frauen ziehme. Auch unter Japanern halte sich der Mythos jedoch hartnäckig.]

In der japanischen Gesellschaft ist einiges in Bewegung bekommen, es bilden sich neue Netzwerke. Auch Rollenbilder werden aufgeweicht. Zumindest in Tokyo ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass ein Mann sein Kind im Ergocarrier herumträgt, oder etwas früher von der Arbeit nach Hause kommt, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Auch die Themen Nachhaltigkeit und lokales Wirtschaften haben einen einen höheren Stellenwert bekommen, sind nicht mehr blosse Moden. Bei der Frage nach dem politischen Bewusstsein der Bevölkerung verwirft Yuri allerdings die Arme.

Yuri habe ich getroffen, weil ich etwas über Impro und Unternehmenstheater in Japan erfahren wollte. Ich erzählte ihr, wie ich in der Schweiz arbeite. Das wir Workshops spiegeln, zu Kommunikationszwecken Stücke schreiben und Manager Theater spielen lassen. Das sich japanische Firmen auf solche Ansätze einlassen würden, hält sie für sehr unwahrscheinlich. Zu stark sei es ein Tabu, in den strengen Hierarchien irgendwelche Kritik zu üben - die Leute würden gleich entlassen. Aber auch die Vorstellung, dass Business etwas durch und durch Ernsthaftes sein müsse, dürfte entsprechenden Aktivitäten in Japan Grenzen setzen. Und schliesslich würde natürlich jeder Schritt hinterfragt: Wozu machen wir das? Was lernen wir daraus? Die Zügel allzu locker lassen und einfach mal etwas der Intuition und der Kreativität der Mitarbeitenden zu überlassen, das ist in der japanischen Geschäftswelt wohl ein ziemlich schräger Gedanke.

Auf der Aussichtsplattform der Sunshine City

Allerdings, die japanische Regierung zeigt Talent in Sachen Theater. Da trinkt doch gestern ein Kabinettsmitglied tatsächlich ein Glas Grundwasser aus der Stadt Fukushima. Selbst Japanern kommt so etwas mittlerweilen etwas merkwürdig vor. Meinem Gastgeber war der Zweifel über solche Methoden jedenfalls klar anzusehen, als er mich verlegenheitslachend fragte: "Would you drink the water?!"

Morgen werde ich bei einer anderen Impro-Pionierin, Naomi Ikegawa, einen Workshop besuchen.

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