Wednesday, November 9, 2011

Party People

Schliesslich haben wir es heute doch noch ins Onsen geschafft. Einen Besuch im Onsen darf man bei einer Japan-Reise einfach nicht auslassen. Wir waren in einem Onsen in Saitama. Zu meiner grossen Überraschung war auch eine Sauna integriert und in der Sauna lief ein Fernseher.


Aber eigentlich wollte ich noch von der Barbecue-Party berichten, die für die Mieter der Gemüsegärtchen auf dem Grundstück meiner Gastfamilie veranstaltet wurde. Eingeladen hatten die Internetfirma, welche die Mieter sucht und beim biologischen Gemüseanbau unterstützt, und Herr Suzuki als Eigner des Grundstücks. Angesichts des regnerischen Wetters wurde die Party in der Doppelgarage der Suzukis gefeiert. Die Stimmung war gelöst alle halfen tatkräftig beim Aufbau des Buffets und bald hielten Herr Suzuki und der Manager des Feldes eine kurze Ansprache zur Begrüssung.



Das Fest begann um 11 Uhr und dauerte bis etwa 15 Uhr. Es gab reichlich Fleisch und Gemüse - alles in essstäbchengerechten Portionen. Dazu wurde nach Belieben Bier, Saft und Sake getrunken. Am Ende servierte eine Mieterin sogar noch einen Chesecake, ebenfalls in kleinen Stückchen. Ich dachte, dieses kleine, feine  'Desserbuffet' würde nirgends hinreichen, aber es blieb sogar noch etwas übrig.

Irgendwann erzählte Herr Suzuki, dass der Betreuer und Manager des Grundstücks ausserordentlich gut Klavier spielen könne. Selbstverständlich wollten nun alle, dass er ein wenig Klavier spiele, doch er winkte ab. Einige Minuten später aber hörte man ihn im Haus der Suzukis Klavier spielen, unter anderem Schumann. Zwischen den einzelnen Stücken, die er offenbar allesamt auswendig beherrschte, wurde höflich geklatscht und immer mehr Gäste begaben sich in den Garten Suzukis, um des Klavierspiels zu lauschen. Es war ein wirklich romantischer Augenblick.









Meine Gastfamilie

Über meine Gastfamilie habe ich bisher wenig geschrieben. Die Eltern Suzuki und ihr Sohn Mone haben mich gut aufgenommen, mich dazu angehalten, meine Japanischkenntnisse anzuwenden, und mich mit praktischen Ratschlägen unterstützt. Sogar Hund Mikka schien mich nach einem gemeinsamen Spaziergang am ersten Tag als Familienmitglied akzeptiert zu haben. Herr Suzuki ist vielseitig interessiert und ein angenehmer Gesprächspartner, der auch mit subtilen Spässchen nicht spart. Manchmal war ich froh, mich mit ihm auch in Englisch unterhalten zu können. Dank Frau Suzuki lernte ich eine japanische Alltagsküche kennenlernen, die zwar unverkennbar japanisch war, aber auch ohne weiteres westliche Gerichte integrierte. So war ich nicht wenig überrascht, als eines Morgens nebst Reis, Gemüse und Miso-Suppe noch eine kleine Portion Tomatenspaghetti mit reichlich Knoblauch vor mir stand, ein anderes Mal gar eine Portion Gulasch. Geschmeckt hat es immer ausgezeichnet.


Nach dem Frühstück setzte ich mich oft ins Wohnzimmer, um zu bloggen. Fast immer schien die Morgensonne vom Garten her in das Zimmer. Ich habe dieses Zimmer sehr lieb gewonnen.


Das Haus wurde vor 40 Jahren neu gebaut. Im Entree hängt ein Bild des Elternhauses von Herrn Suzuki, ein Bauernhaus mit Rietdach, welches zuvor am selben Ort stand. Auch das neue Haus ist geräumig. Die ganze Seite zum Garten hin ist dank Schiebetüren und -wänden an sonnigen Tagen wunderbar lichtdurchflutet.


Auf dem Grundstück stehen zwei Kakibäume. Bei unserem Spaziergang am ersten Tag hatte ich Herrn Suzuki gesagt, dass Kaki zu meinen Lieblingsfrüchten gehören. Zum Abschied überreichte er mir ein Bild, dass er selber vor einigen Jahren gemalt hatte: ein Bild von einem Kakibaum. Ich fühle mich sehr geehrt, ein so schönes und spezielles Geschenk bekommen zu haben.

Sunday, November 6, 2011

Mit Hikaru und Vita auf Ustream

Hikaru Hie habe ich über das Applied Improvisation Network kennengelernt. Sie ist Schauspielerin, hat ein Buch mit dem Titel "Yes, and..." geschrieben und unterstütz Personen und Unternehmen in Sachen Kommunkation. Ihr Credo lautet: "Play Forward!" Spontan hatte sie mich zu ihrer monatlichen Talkshow auf Ustream eingeladen. Zusammen mit Vita Naitown, einer Entertainerin mit Abschluss an der Keio-Universität, mietet sie sich jeweils in einem Medienzenter in Yokohama ein und verbreiten ihr Programm mittels Computer und Webcam. In der Show unterhält sie sich mit jeweils ein bis zwei Gästen. Meist sind auch eine Hand voll Zuschauer vor Ort. Über's Web schauen jeweils immerhin etwa 1000 Personen zu. Primär wollen die zwei den Impro-Gedanken in Japan verbreiten und mit ihrer positiven Ausstrahlung andere anstecken.



Es war Halloween. Nachdem ich mein Tänzchen zum Auftaktsong gemacht hatte, trafen etwas verspätet doch noch weitere Gäste ein, und auch die erste Talk-show-Parterin, Takako Yamada von Waku Work Englisch. Ich war erleichtert, die Show nicht alleine mit den beiden bestreiten zu müssen, wusste ich doch nicht wirklich, worauf ich mich eingelassen hatte. Wer nun aber wissen will, was da alles gesagt wurde, der muss sich die Show schon selber anschauen. Japanischkenntnisse sind von Vorteil ;-).


Es war vielleicht etwas waaghalsig, gleich in der ersten Woche meines Aufenthalts an dieser Live-Show teilzunehmen, aber mein Interesse an der Improszene Japan war einfach zu gross, als dass ich das hätte auslassen können. Hikaru und Vita gehen mit ihrer Show neue Wege. Eine Live-Sendung, die den Impro-Gedanken in Japan verbreitet, das ist doch eine tolle Sache. Da Impro auf der Bühne in Japan noch nicht wirklich den grossen Durchbruch erlebt hat, scheint es mir ein vielversprechender Ansatz, um mehr Leute zu erreichen. Ich bin gespannt was daraus noch wird!



Feueralarm


Gestern abend um acht machten wir uns auf, um ins Onsen zu fahren. Daraus wurde leider nichts. Ich war gerade noch in meinem Zimmer, da geriet meine Gastfamilie vor der Haustür in helle Aufregung. Schnell war auch ich zur Stelle. Draussen war es bereits dunkel. Diesem Umstand war es zu verdanken, dass Frau Suzuki bemerkt hatte, dass eine der Stromleitungen zu unserem Haus hin an einer Stelle in unregelmässigen Abständen rot glomm.

Herr Suzuki reagierte schnell. Er schaltete alle elektrischen Geräte im Haus aus und rief die Feuerwehr an. Als die Feuerwehr kaum fünf Minuten später mit zwei Wagen und über einem Dutzend Männern bei uns eintraf, war aus dem Glimmen ein durchgehendes Gühen geworden, es stieg beständig ein feines Rauchfähnlein auf und ab und zu knallte es sprühte Funken.

Und dann geschah eigentlich lange nichts. Na ja, die Feuerwehr war in Bereitschaft und ein Feuerwehrmann dokumentierte die Situation und wollte von Frau Suzuki ganz genau wissen, was sie wann wahrgenommen hatte. Ansonsten unterhielt man sich mit den herbeigeeilten Nachbarn oder machte Witze über Tepco. Einer der Feuerwehrleute kam auf mich zu und erzählte mir in Englisch, dass er einmal einen Homestay in Neuseeland gemacht hatte und nun zwei Kinder im Alter von 6 und 8 habe, einen Jungen und ein Mädchen. Es dauerte etwa eine Stunde, bis die Leute von Tepco vor Ort waren, um die Leitung zu prüfen und zu reparieren. 

Ich war schon froh, dass Frau Suzuki den Leitungsschaden bemerkt hatte. Es ist keine angenehme Vorstellung, nachts in einem luftigen Holzhaus von einem Feuer überrascht zu werden. 

Saturday, November 5, 2011

SOHO Odaiba


Raucherstübli

Überall Automaten

Getränkeautomaten stehen in Japan überall. Auch im hintersten Kami-verlassenen Nest findet man alle paar Meter Getränkeautomaten. In Tokyo werden selbstverständlich nicht nur warme und kalte Getränke per Automat verkauft. Man findet auch Automaten für Instantnudeln, Eis, Eier, Gemüse, Blumen, Regenschirme, weisse Hemden u.s.w. 


Aber der Siegeszug der Automaten in Japan ist noch lange nicht vorbei. So gibt es z.B. in der Nähe des Tokyo Edo Museums ein winziges Restaurant, wo man sein Menu am Automaten auswählt und bezahlt.


Wenn ich am morgen mein Fahrrad beim Bahnhof Urawa Misono abstelle, begrüsst mich immer ein freundlicher alter Herr. Ich zahle ihm 150 Yen und bekomme einen kleinen Zettel, den ich an den Lenker klebe. Aber auch auf den Veloabstellplätzen hat die Automatisierung begonnen, wie ich heute am Bahnhof Ryogoku feststellen konnte. Da kostet ein Tag dann nur noch 100 Yen. Ich fürchte, da gehen wichtige Low-level-Jobs verloren...


In gewissen Situationen wird eine Automatisierung als selbstverständlich vorausgesetzt. Zum Beispiel bei Drehtüren. Dennoch war ich etwas erstaunt, dass eine entsprechende manuelle Variante eigens mit einer Gebrauchsanweisung versehen war.


Thursday, November 3, 2011

Ein Besuch bei Improjapan

Eigentlich hätte ich ja im Saitama-Stadion die Reds anfeuern sollen, doch Naomi Ikegawa und Kayou Minematsu hatten mich eingeladen, an einem offen Workshop von Improjapan teilzunehmen, und abends eine Impro-Show ihrer Studenten zu besuchen. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Als ich morgens um 10 Uhr mit dem Fahrrad vom Stadion her zum Bahnhof Urawa-Misono fuhr, kamen mir bereits die ersten Fans des Heimteams entgegen. Anpfiff war um 17 Uhr. Es hat alles nichts genützt. Heute morgen wurde mir erzählt, sie hätten gegen Iwata 0:3 verloren. Und danach soll es zu Schlägereien gekommen sein. Die Supporter sollen auf die Spieler losgegangen sein.


Energiegeladene Leute traf ich auch im Improworkshop. Die Teilnehmer waren Leute zwischen 25 und 35. Beamte, Informatiker, Verkäufer...  Sie hatte sich den Tag frei genommen und genossen es sichtlich, den Arbeitsstress vergessen zu können. Kayou hatte den Workshop gewissenhaft vorbereitet.  Nach jedem Spiel bedankte man sich bei den Mitspielern und verbeugt sich dazu auch. Der Fokus lag eher auf den Inhalten als auf den Methoden. Dies hatte ich nicht unbedingt erwartet, da ja in Japan der Art und Weise, wie etwas gemacht wird, meist sehr ernst genommen wird. Die Leute waren einfach da, um Spass zu haben. Sie wollten lachen und waren froh, für einmal nicht so viele Regeln beachten zu müssen. Bei Improjapan haben sie einen Ort gefunden, wo sie ausnahmsweise mal aus der Rolle fallen dürfen. Was sonst im Theater nicht unbedingt gewünscht ist, scheint mir hier - zumal im Trainingssetting - ein sinnvoller Regelverstoss.

 

Abends dann die Show. Kayou und drei ihrer Studenten spielten, Namoi moderierte. Obwohl nur etwas 15 Zuschauer da waren, die meisten wohl auch Studenten bei Improjapan, wurde professionell mit Licht und Musik gearbeitet. Es gab ein paar wunderbare Szenen. Zum Beispiel eine Sandkasten-Szene, bei der zwei Zuschauer zwei Schauspieler wie Puppen bewegen durften (Bild unten). Oder eine Szene, die teilweise im Innern eines Computers stattfand. Auch einige Soloauftritte waren ganz beachtlich.



Ich hatte vor einigen Tagen bereits eine Theatervorstellung des Tokyo Festival besucht. Kein Improtheater, sondern in diesem Sinne klassisch. Die Schauspieler und die Inszenierung hatten mich beeindruckt. Aber bleibender war der Eindruck, den der Schlussapplaus bei mir hinterlassen hat: ein knappes, höfliches Klatschen. Niemand klatscht zu laut, niemand ruft gar irgend etwas. Die Schauspieler haben Glück, wenn noch geklatscht wird, solange sie noch auf der Bühne sind. Dies kam mir wieder in den Sinn als ich die Impro-Show sah. Nach jeder Szene wurde es nämlich zunächst dunkel, es ertönten ein paar Takte Musik, dann wurde es hell, die Schauspieler verbeugten sich und das Publikum klatschte. Jedes Mal wurde also zwischen dem Schluss der Szene und dem Applaus eine Pause eingeschaltet. Wer in Versuchung geraten wäre, seiner Begeisterung spontan Ausdruck zu verleihen, vom Stuhl aufzuspringen, laut zu klatschen oder gar zu Kreischen, bekam 5 Sekunden Zeit, sich eines Besseren zu besinnen.

Dennoch, es war ein toller Abend. Und später, im chinesischen Restaurant, wurde es sogar noch richtig laut.


Wednesday, November 2, 2011

Japan braucht keine Godzillas

Gestern traf ich mich abends mit meinem japanischen Freund Takashi und seiner Frau Mari. Takashi und ich hatten uns auf meiner ersten Japanreise vor mehr als 20 Jahren auf Kyushu kennengelernt. Wir verbrachten einen gemütlichen Abend in einem Restaurant in Ikebukuro und ich wurde einmal mehr auf eine kleine Entdeckungsreise in die japanischen Küche eingeladen. Wer denkt, die Japanische Küche umfasse nur Sushi und Sashimi, der sollte einfach mal in der Goolge Bildersuche "japanese cuisine" eingeben. So vielfältig und raffiniert wie das Essen präsentiert wird, so vielfältig und subtil ist es auch geschmacklich. Ein anderes Mal mehr dazu.

In seiner zurückhaltenden Art entspricht Takashi schon etwas unserem Cliché vom höflichen Japaner, der lieber mal eine Frage unbeantwortet lässt und vielleicht auch mal eine Frage nicht stellt. Er ist jedoch ein wenig in der Welt herumgekommen und hat berufshalber (er ist Manager in einem grossen Elektronikunternehmen) relativ viel Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern. Jedenfalls wollte ich die Gelegenheit nicht auslassen, ihn nach seiner Meinung bezüglich des wassertrinkenden Kabinettsmitglieds zu fragen. Ich erzählte ihm also, wie mein Gastgeber reagiert hatte und dass mir das ganze wie ein billiger Werbegag vorkomme. Noch bevor ich ausgeredet hatte, stimmte mir Takashi zu. Seine heftige Reaktion schien eine Mischung von Ärger und Entrüstung über den Politiker, der seine Landsleute für dumm verkaufen will und Japan im Ausland der Lächerlichkeit preisgibt. "This man thinks he is Godzilla." Godzilla - ein atomarer Mutant. Man kann nur hoffen, dass im japanischen Parlament nicht noch mehr solche Leute sitzen. Japan baucht keine Godzillas.

Odaiba und Puppen aller Art

Odaiba ist eine Ufernahe Insel in der Bucht von Tokyo. Der Ausflug lohnt sich nur schon der atemberaubenden Perspektiven wegen, die sich vom Monorail aus ergeben. Die Insel ist geprägt von riesigen futuristischen Gebäude und einer für Tokyo ungewohnt grosszügigen Raumnutzung.


Es ist wohl kein Zufall, das auf Odaiba das Museum für Zukunftsforschung und Innovation liegt. Ich war an einem Samstag dort. Für die gut besuchte Motorsportmesse interessierte ich mich nicht sonderlich, sonder lief zielstrebig in Richtung des Museums. Ich wählte den direktesten Weg durch das International Exchange Center. Durch eine Passage sah ich etwas, das ich zunächst für eine private Party hielt. Ich stand schon fast vor dem Museum, doch irgendetwas war da hinter dem Exchange Center los. Nix wie hin. Eine grosse Wiese mit hohem Gras und wilden Blumen! Das dumpfe Geheul der Sportwagen, die hinter den Zäunen ihre runden drehten, passte nicht wirklich dazu, liess sich aber leicht ausblenden. In der Wiese standen Eltern mit ihren Kindern und pflückten Blumen. Impressionismus pur. Es handelte sich um ein Projekt namens "Wild Flower" und es war gerade das Wochenende, an dem die Früchte des Projekts geerntet werden durften. Für's Blumenpflücken zahlte man ein paar (hundert) Yen, bekam eine Schere ausgehändigt. Ich habe zwar keine Blumen gepflückt, aber ein Säcklein mit Nelkensamen hae ich nach Hause genommen. Und da sind wir wieder beim Thema japanische Verpackung.


Gleich daneben, vor und im International Exchange Center, fand ein ganz anderes Event statt. Ein Cosupure-Event! Die Mädchen in Akihabara, die damit Geld verdienen, den ganzen Tag verkleidet auf der Strasse Passanten anzusprechen, tun mir leid. Aber so ein Cosupure-Event, das ist was ganz anderes. Die Leute, die sich da als Manga- oder Animefiguren verkleiden, betreiben das als Hobby und haben offensichtlich Spass am Verkleiden und Posieren. Wer Fotos machen will, zahlt dafür eine Pauschalgebühr von etwa 20 Franken. Ausgerechnet an diesem Tag hatte ich meinen Fotoapparat zuhause liegen lassen - es ärgert mich jetzt noch!

Immerhin habe ich so schliesslich doch noch den Weg ins Miraikan gefunden. Interessant ist das Museum vor allem darum, weil es einem westlichen Besucher vor Augen führt, dass Technik in Japan nicht so sehr als Gegensatz zur Natur betrachtet wird sondern als Ergänzung. Ein sprechendes Beispiel dafür ist ein Animationsfilmchen zum Thema Ressourcen und Umwelt gezeigt wird. Es wird davon berichtet, dass japanische Forscher Pflanzen züchten wollen, die Plastik herstellen können. Was für eine verführerische Vorstellung. Welcome to Plastic Planet!

Da wir grad beim Thema Plastik sind, sei mir ein kurzer Exkurs gestattet. Ein Museum (na ja, ich gebe zu, eigentlich ist es ein Shop), wieder mal in Akihabara. Hyper Collectors Shop Toys Golden Age. Ein toller Name, nicht? Keine Homepage. Aber ein Vintage-Shop so voller Figürchen aus Filmen, Manga und Anime aus der guten alten Zeit (70-er, 80er- 90er-Jahre), dass es den meisten Japanern wohl schwerfallen dürfte, an diesem Laden achtlos vorüberzugehen, sind sie doch mit diesen Figuren aufgewachsen. Na ja, vielleicht haben sie sie ja inzwischen auch im Schrein betend verbrennen lassen und vergessen, so wie das bei mir in der Nähe übermorgen wieder geschieht. Leider habe ich da schon eine Verabredung, sonst hätte ich die mehrstündige Puppenabdankung gerne miterlebt. Aber vielleicht gehen sie doch achtlos an dem verlorenen Paradies vorüber, weil die Puppen in Akihabara ja auch lebend zu bestaunen sind.


Ende Exkurs. In einer Ecke im Miraikan findet man eine Ausstellung zum Thema Device Art. Dazu gibt es noch nicht mal in Wikipedia eine Erklärung. Na ja, es geht darum, dass Alltagsgegenstände der eigentliche Kunstgegenstand sind. Der Ausstellungsraum ist dem Innern eines Teehauses nachempfunden. Nebst einer sehenswerten Tarnkappe, gibt es einen Teekessel, auf dem Augen sind, die sich öffnen und schliessen. Die Augen können auf ein beliebiges Objekt gepflanzt werden.



Vielleicht sind wir damit schon wieder im Exkurs. Denn sobald etwas ein Gesicht hat, so erklärte es mir mein Gastgeber, kann man es nicht einfach wegwerfen. Nur weiss ich noch nicht recht, was ich mit dieser Information anfangen soll.


Tuesday, November 1, 2011

Change

Offenbar sind sich viele Japaner einig, dass sich in Japan etwas ändern müsse. Bis vor etwa zwanzig Jahren lief alles so gut. Die Japaner eroberten die Weltmärkte und hatten das Gefühl, alles sei möglich, wenn man nur hart arbeite. Dieses Gefühl hat sich nach zwanzig Jahren schleppender Wirtschaft geändert. Andere Asiatische Länder, vorab China, haben Japan den Schneid abgekauft. Hinzu kommen die Enwurzelungsprobleme einer mobilen und hochtechnologisierten Gesellschaft. Und nun die Katastrophe vom 11. März.

Blick vom Sunshine-Tower Richtung Südosten

Gestern traf ich Yuri Kinugawa, die Gründerin und Inhaberin von Impro Works. Sie ist ausgebildete Schauspielerin, eine Pionierin in Sachen Impro in Japan und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Sie lebt in Tokyo und Auckland und ist international vernetzt. Sie erklärte mir, dass Improtheater in Japan noch in den Kinderschuhen stecke. Dies habe vor allem damit zu tun, dass Japaner dazu tendieren, die Regeln stärker als alles andere zu gewichten. So werde aus dem "Ja, und..." ein Dogma und der Sinn der Improvisation gehe verloren, die Entwicklung der eigenen Kreativität und Freiheit bleibe auf der Strecke.

Japan müsse sich verändern. Yuri sei in Ihren Workshops hauptsächlich damit beschäftigt, Japanerinnen aufzuzeigen, dass sie sich ihre Grenzen selber setzen, und ihnen Mut zu machen. Es gehe ganz wesentlich um die Stärkung des Selbstvertrauens. Sie nannte das Beispiel Augenkontakt. In der japanischen Gesellschaft sei der direkte Augenkontakt nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Dabei handle es sich doch um ein Verhaltensmuster aus der Edo-Zeit. Damals war es verboten, einem Samurai ins Gesicht zu schauen. Tat man es dennoch, war man sich seines Lebens nicht mehr sicher. "Wir leben doch nicht mehr in der Edo-Zeit! Wir müssen uns doch ansehen, um uns zu verstehen." [In der Zwischenzeit machte mich Monako darauf aufmerksam, dass es sich bei der Augenkontakt-Geschichte um einen Mythos handle. Tatsächlich sei das Vermeiden des Augenkontakts erst in der Meiji-Zeit, also vor etwa 100 Jahren, als ein Verhalten propagiert worden, dass sich für Frauen ziehme. Auch unter Japanern halte sich der Mythos jedoch hartnäckig.]

In der japanischen Gesellschaft ist einiges in Bewegung bekommen, es bilden sich neue Netzwerke. Auch Rollenbilder werden aufgeweicht. Zumindest in Tokyo ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass ein Mann sein Kind im Ergocarrier herumträgt, oder etwas früher von der Arbeit nach Hause kommt, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Auch die Themen Nachhaltigkeit und lokales Wirtschaften haben einen einen höheren Stellenwert bekommen, sind nicht mehr blosse Moden. Bei der Frage nach dem politischen Bewusstsein der Bevölkerung verwirft Yuri allerdings die Arme.

Yuri habe ich getroffen, weil ich etwas über Impro und Unternehmenstheater in Japan erfahren wollte. Ich erzählte ihr, wie ich in der Schweiz arbeite. Das wir Workshops spiegeln, zu Kommunikationszwecken Stücke schreiben und Manager Theater spielen lassen. Das sich japanische Firmen auf solche Ansätze einlassen würden, hält sie für sehr unwahrscheinlich. Zu stark sei es ein Tabu, in den strengen Hierarchien irgendwelche Kritik zu üben - die Leute würden gleich entlassen. Aber auch die Vorstellung, dass Business etwas durch und durch Ernsthaftes sein müsse, dürfte entsprechenden Aktivitäten in Japan Grenzen setzen. Und schliesslich würde natürlich jeder Schritt hinterfragt: Wozu machen wir das? Was lernen wir daraus? Die Zügel allzu locker lassen und einfach mal etwas der Intuition und der Kreativität der Mitarbeitenden zu überlassen, das ist in der japanischen Geschäftswelt wohl ein ziemlich schräger Gedanke.

Auf der Aussichtsplattform der Sunshine City

Allerdings, die japanische Regierung zeigt Talent in Sachen Theater. Da trinkt doch gestern ein Kabinettsmitglied tatsächlich ein Glas Grundwasser aus der Stadt Fukushima. Selbst Japanern kommt so etwas mittlerweilen etwas merkwürdig vor. Meinem Gastgeber war der Zweifel über solche Methoden jedenfalls klar anzusehen, als er mich verlegenheitslachend fragte: "Would you drink the water?!"

Morgen werde ich bei einer anderen Impro-Pionierin, Naomi Ikegawa, einen Workshop besuchen.