Saturday, October 29, 2011

Yanaka

Yanaka ist ein Viertel im Norden von Tokyo, das die Katastophen des 20. Jahrhunderts relativ gut überstanden hat. Während im übrigen Tokyo alte Wohnhäuser immer stärker von grösseren und neueren Gebäuden verdrängt werden oder gänzlich verschwunden sind, findet man in Yanaka ein einheitlicheres Strassenbild und eine fast kleinstädtische Atmosphäre.


Zahlreiche Schreine und Tempel prägen das Quartier. Zudem gibt es hier viele typisch japanische Geschäfte. Wer am Ende der Einkaufsstrasse Yanaka-Ginza links abbiegt kommt z.B. an einem Geschäft vorbei, in dem Oden  hergestellt wird und quasi 'über d'Gass' verkauft wird.


Einige Schritte werden japanische Süssigkeiten aus Reismehl oder gestampftem Reis angeboten. Die Geschmacksrichtungen sind Matcha, Marroni und natürlich Anko.

Aber auch das ist Tokyo: Da spaziert man durch enge Strassen und Gassen an zahlreichen Tempeln und Schreinen vorbei und plötzlich steht man inmitten dieser urjapanischen Umgebung vor einem Chalet. (Das ist etwa so, wie wenn man auf dem Ballenberg plötzlich vor einem Minarett stünde.) Der Romand Denis Pasche ist vor vielen Jahren hierhergezogen, und hat das Haus mit Holz aus Finnland bauen lassen. In der rustikalen Gaststube werden Gerichte, helvetische Gerichte und alpine Souveniers angeboten. Zusätzlich bietet Chaletswissmini ein breites Kursangebot. Hier lernt man Französisch, Deutsch, Italienisch und - sorry - Englisch. Aber das Kursangebot umfasst natürlich auch Jodeln, Sticken, Stricken und die Zubereitung von englischem Tee. Der Ort wäre wahnsinnig kitschig, wenn nicht alles den Charme und Schalk des Gastgebers atmen würde. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Besuch an diesem Ort für gestresste Tokioter ein erfrischendes Kurzurlaubserlebnis ist.


Noch einmal zurück zur Yanaka-Ginza. Bevor ich endgültig damit aufhöre, von den verführerischen Einkaufsmöglichkeiten in Tokyo zu berichten (ich kreuze die Finger hinter meinem Rücken), möchte ich noch auf zwei besonders schöne Läden hinweisen, die hochwertige Artikel zu erschwinglichen Preisen anbieten.

Die Auswahl an Tees in einem Department Store mag grösser sein, aber der Empfang, die Atmosphäre und die überschaubare Auswahl im Teegeschäft an der Yanaka-Ginza sind dem allemal vorzuziehen. Beim Eintreten erhält man ein Tässchen Tee zur Erfrischung, hinten im Lokal kann man zusehen, wie Tee gewogen und abgepackt wird, und selten habe ich so hübsches Porzellan zu so günstigen Preisen gesehen.


Ein Geschäft am Anfang der Yanaka-Ginza verkauft Korbwaren und ähnliches. Auch hier wird viel Wert auf's Detail gelegt, sowohl bei der Auswahl der Gegenstände als auch bei der Präsentation.


Ein Beispiel dafür sind die Plastikschuhe, die hier angeboten werden. Die karierten Einlagen machen aus ihnen etwas, das man fast schon in ein Tokonoma stellen könnte.





Friday, October 28, 2011

Aki-Oka Artisan (Teil 2: The girl with kaleidoscope eyes)

Hiromi Toyoda eröffnete ihr Geschäft just am Tag, als ich Aki-Oka Artisan entdeckte. Es heisst Soshin Kalaeidoscopes und verkauft werden hier tatsächlich nichts als Kaleidoskope. In einer Stadt wie Tokyo ist nichts unmöglich.















Es gibt welche aus Metall, Keramik, Plastik, Glas, Holz... Einige dreht man um ihre eigene Achse, andere beziehen ihre Farben aus der Umgebung (Teleidoskope), und bei einigen ist der Mechanismus nur schwer in Worten zu beschreiben. Aber diese Kalaidoskope haben es nicht nur in sich, sie sind auch äusserlich wahre Kunstwerke. Sie sehen mal aus wie Nachttischlämpchen, mal wie ein Dessert, mal wie eine Flakons...


Abends gab es bei Hiromi eine Eröffnungsparty. Selbstverständlich waren auch einige der übrigen Geschäftsinhaber und Künstler der Aki-Oki Artisan anwesend. Zunächst wurden die Kunstwerke bestaunt, dann wurden im Restaurant um die Ecke, dessen Namen ich leider nicht notiert habe, Wein und japanische Feinkost serviert. Ein gelungener Start!


 



Die Ästhetik japanischer Baustellen

Um mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu gelangen, müsste ich eigentlich über eine Brücke. Zurzeit ist die Brücke jedoch für Fahrräder und Fussgänger gesperrt. Die Umleitung ist gut ausgeschildert, und führt an einer Baustelle vorbei. Baustelle in Japan heisst zuerst einmal, dass zusätzlich zu den an den Bauarbeiten tatsächlich beteiligten Personen mindestens eine Person für die Sicherheit an der Schnittstelle zum übrigen Verkehr verantwortlich ist. Zum Beispiel hat es vor unserem Haus eine Baustelle. Die Strasse wird von etwa 1.8 auf vielleicht 2.5 Meter verbreitert. Ich schätze es verkehren 5-10 Autos pro Tag auf dieser Strasse. Mit Sicherheit allesamt Anwohner, die wissen, welche anderen Schleichwege ans Ziel führen. (In diese Strassen verirrt man sich nicht.) Zudem schlägt die Strasse alle 30 Meter einen Haken, so dass also keine Raser auf der Strecke zu erwarten sind. Dennoch ist ein Arbeiter damit beauftragt, den ganzen Tag den Verkehr zu regeln und für die Sicherheit aller zu sorgen - auch für diejenige der Bauarbeiter selbstverständlich. Kommt man vorbei, wird man freundlich begrüsst, mit einer angedeuteten Verbeugung, einem Lächeln und einem gemurmelten Gruss. Ja, Baustellen verbreiten in Japan gute Laune. Zurück zur Baustelle auf dem Weg zum Bahnhof. Auch da sorgt also jemand tagsüber für die Sicherheit. Es kann auch vorkommen, dass man vor den Gefahren gewarnt und zum Absteigen aufgefordert wird. Der aufmerksame Fahrradfahrer wird dann vielleicht die Kunst am Baustellenzaun entdecken.


Singvögel auf blauem Hintergrund gegen Dreck und Lärm. Das gleiche Motiv könnte man sich auch auf einem Tischtuch oder Vorhang vorstellen - eine heitere Gesellschaft, aber wohl hier unter freiem Himmel doch besonders passend. Es scheint mir ein schönes Beispiel dafür, wie in Japan alltägliche Gegenstände zu mehr als blossen Gebrauchsgegenständen veredelt werden - selbstverständlich ohne dass dabei die Funktion zu kurz kommt.


Nachts wird die Baustelle nicht bewacht. Dafür blinken an neuralgischen Stellen grosse Pfeile. Zusätzlich säumen Signalkegel den Weg. Vielleicht geht es bei diesen Massnahmen um den spät heimkehrenden Salaryman, der die Lenkstange nicht mehr so fest im Griff hat. Oder eben doch um die Ästhetik.



Thursday, October 27, 2011

Aki-Oka Artisan (Teil 1)




Mein erster Ausflug führte mich nach Akihabara, das Mekka für Elektronikfreaks, ein Quartier voller Leuchtreklamen und Cosplay-Cafés. Ich benötigte ein Netzteil oder Stromkabel für meinen Computer, lief in einen grösseren Elektronikshop, wendete mich ans Personal. Obwohl der Verkäufer offensichtlich noch nie ein dreipoliges Stromkabel gesehen hatte, wie es in der Schweiz verwendet wird, verliess ich das Geschäft nach drei Minuten als zufriedener Kunde. Nicht weniger als vier Verkäufer waren am Verkaufsprozess beteiligt. Wenn es ein Land gibt, wo der Kunde ernst genommen wird, dann ist es Japan.

Obwohl ich vom Manga-Museum in Kyoto, das ich vor einem Jahr besucht habe, begeistert war, bin ich kein Manga-Leser. Die Cosplay-Mädchen, die in Akihabara auf den Strassen für die Cosplay-Cafés werben, tun mir ein wenig Leid. Na ja, es ist auch nur eine Art von Theater. Magisch zog mich hingegen das Wort 'Artisan' an, welches ich in einiger Entfernung am Ende einer Gasse lesen konnte. Japanisches Kunsthandwerk in Akihabara, das würde nicht einmal ein Japaner erwarten...

Alibaba
Das Ladenlokal, das ich betrat war voller Schätze japanischer Handwerkskunst. Keramik, Papeteriewaren, Spielsachen, Handtücher, Furoshiki, Bücher, ja auch Esswaren, und alles von erlesenster Qualität. (Ich brauche das Wort erlesen sonst nie, aber hier passt es definitiv.) Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wähnte mich fast in Alibabas Höhle, aber natürlich war alles wunderbar geordnet, ohne steif zu wirken. Soweit ich weiss, werden nirgends auf der Welt Waren so liebevoll präsentiert wie in Japan. Und wenn es sich dann noch um solche Gegenstände handelt, dann gerät ein Geschäft zum Gesamtkunstwerk. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Geschäft hiess allerdings nicht Alibaba, sondern Nihon Hyakkaten (Kaufhaus, wörtlich: Hundert-Waren-Geschäft). Ein etwas prosaischer Name. Einen Eindruck von den Produkten erhält man im Online-Shop. Ob nach Europa geliefert wird, weiss ich nicht, aber ich vermute, die japanische Kundenorientierung kennt keine Grenzen, sofern vorausbezahlt wird.


Das Geschäft, befand sich am einen Ende einer Ladenpassage namens Aki-Oka Artisan unter den Gleisen der Japan Railways (JR). Die meisten Geschäfter wurden erst in diesem Herbst eröffnet.


Was es sonst noch in dieser Ladenpassage zu entdecken gibt, werde ich morgen berichten.





Ankunft

Meinen vierten Japanaufenthalt verbringe ich in Tokyo. Meine Gastfamilie Suzuki wohnt allerdings in der nördlich gelegenen Vorstadt Saitama, und dort wiederum ein einem sehr ländlichen Randgebiet. Sie besitzen  ein ehemaliges Bauernhaus mit einem hübschen japanischen Garten, zudem ein Stück Land, auf dem einige Städter biologischen Landbau betreuen und in ihrer Abwesenheit das Gedeihen des Gemüses via Internet beobachten können.

Die Eltern sind pensionierte Gärtner. Die Tochter der Familie studiert zurzeit in Korea, der Sohn geht noch ins Gymnasium. Schliesslich muss ich noch den Hund erwähnen, der das Haus laut aber lieb bewacht, Mikka.

In der Nacht wird es bereits sehr kalt, und die Kälte dringt erbarmungslos in jedes Zimmer des Hauses. Wie in den meisten japanischen Häusern gibt es keine Zentralheizung und isoliert ist gar nichts. Einzig der Toilettensitz ist rund um die Uhr geheizt. Für einmal erscheint mir das gar nicht so absurd.


Blaue Hausdächer sieht man in Japan übrigens nicht mehr so oft. Ich finde sie verbinden das Haus sinnreich mit dem blauen Himmel.

Am esten Abend nahm mich Herr Suzuki auf einen kurzen Spaziergan mit. Mikka war natürlich auch dabei. Im nahegelegenen Park trafen wir vor allem Familien mit Kindern, einige fütterten Enten (die Karpfen zeigten sich nicht), eine Mutter spielte mit drei Jungen Fussball.

Abends gab es Reis mit Gemüse und Hühnerfleisch, danach noch getrockneten, eingemachten seerogen (Karasumi), der fast wie eine Bündner Hirschwurst aussah. Meine Gastgeber kosteten noch die Schokolade und den Appenzeller - Kräuterschnaps, nicht Käse.